Ein Film, sein Umfeld und die Folgen

4… Die Pseudophilosophie

„Zur Sache…“ ist erklärtermaßen ein Film ohne Anspruch auf tiefere Aussage. Das klänge kokett, könnte man den Film nicht sofort und eindeutig als Unterhaltungsfilm mit Publikumserfolg einordnen, auch wenn damit vorher noch garnicht zu rechnen war. Dennoch kommt in dem Film mehr vor, spiegelt er die damalige Zeit mehr wieder, als er sich selbst zugesteht.  13

Ebenso, wie sich die Hauptfigur Martin selbst nicht ernst nimmt, nimmt sich der Film nicht ernst. Nicht nur die „Altbranche“, auch die rebellierenden Oberhausener, von denen sich, wie gesagt, auch May Spils absetzen wollte, nahmen sich sehr ernst. Bei der Verkündigung ihres Manifests trugen sie Krawatte, waren „frischgewaschen“ (Edgar Reitz, Liebe zum Kino). Sie wollten Anerkennung. Im Gegensatz dazu fehlt bei „Zur Sache Schätzchen“ jegliche Prätention, der Film will nicht mehr sein, als er sein kann, wahrscheinlich der Grund, warum der Film so „erfrischend“ wirkte und zu seinem Erfolg kam. (Sogar bei den „Jüngeren“, zum Beispiel bei Thome, hat man oft den Eindruck, daß die Filme, aus heutiger Sicht, nur unfreiwillig komisch wirken.) 14

„Dies ganze Erklärenwollen und Werben um Verständnis ist dem Film herzlich gleichgültig“ (Jansen)

Die Ablehnungshaltung von Martin (in vielen Besprechungen der „sanfte Verweigerer“ genannt) ist etwas, was sich 1968, im Jahr des Erscheinens des Films, mit der Studentenbewegung eine Art ungewollte Anerkennung verschafft.

Es lag in München bereits seit den Schwabinger Krawallen (wiederum im Jahr 1962!) etwas in der Luft, was zunehmend, man muß sagen: populärer wurde. Gesellschaftliche Werte wie Arbeit und Ordnung wurden nicht mehr so ernstgenommen, Es wurde allmählich, zumal für jüngere Menschen, möglich, sich zu entscheiden, in welchem Maße sie sich in eine „gemütsverfettete“ Gesellschaft integrieren lassen wollten. 15

Herbst der Gammler von Peter Fleischmann, D1967

Herbst der Gammler von Peter Fleischmann, D1967

In Peter Fleischmanns „Herbst der Gammler“ von 1967, sieht man die jungen Aussteiger, die Gammler eben, zumeist junge Leute, die sich einfach für einen oder zwei Sommer auf die Straße begeben haben. Teilweise bekunden sie im Film sogar den Wunsch, danach wieder in den Beruf zurückzugehen, wieder ganz normale Bürger zu werden – gar keine wirklichen Aussteiger also. Im Film kann man sehen, was für Anfeindungen sie damals auf der Straße ausgesetzt waren, wo heute schon Bänker im ähnlichen Outfit an den Schalter treten. Die Jungen hatten den Wunsch nach dem großen Ausbruch, vielleicht auch nur auf Zeit. In „Zur Sache Schätzchen“ konnten sie sich gefahrlos in die Welt des Nichtstuns versetzen lassen – und beim Verlassen des Kinos wieder normale Bürger werden.

In vielen Besprechungen des Films wurde Martin das Attribut „Gammler“ zugeordnet, dabei kommt es im Film nur ein einziges Mal vor: als Barbara (Uschi Glas), das Mädchen aus dem Schwimmbad, und Martin über den Wedekindplatz gehen, auf dem bei der Einweihung des Brunnens, „der schmutzigste Gammler Münchens kostenlos gewaschen“ wird, was Martin nicht interessiert – Gammler sind für ihn, wie für jeden anderen auch, ein Phänomen am Rande, er denkt nicht daran, daß er selbst, da er nicht arbeitet und es auch nicht will, als „Gammler“ gesehen werden könnte. Ein Kunstgriff des Films, der auch auf alle anderen Typen angewendet ist, durch die Perspektive Martins, den der Film, mit Unterbrechungen, begleitet, betrachtet man nicht nur die Gammler als seltsame Erscheinungen, ebenso die „Normalen“, die Polizisten, Passanten, Leute im Schwimmbad. 16

Wenn die doofe Möchtegern-Verlobte mit einem Hemd als Geburtstagsgeschenk kommt, verbirgt man sich am besten im Klo.

Ein damals weitverbreitetes (Film-)Thema auch: Ehe und Kinderkriegen. Nicht zufällig ist Martin den ganzen Film über auf der Flucht vor seiner Freundin Anita, die sich mit ihm verloben will. Nicht zufällig unterhält er sich mit Barbara darüber, ob Kinder „eine schöne Spur“ im Leben sind, oder nicht. (Durch die Pille hatte man ja erstmals ernsthaft die Möglichkeit zu entscheiden) 17

Dinge, die zu soziologisch klingen, als daß man sie, sozusagen als „Fragen, die junge Leute beschäftigen“ in einem Unterhaltungsfilm erwarten würde. Denn das, was den Film eigentlich ausmacht, sein Sprachwitz nämlich, läßt selbst die Melancholie, die mitschwingt, wenn Martin sich beispielsweise sein Altern mit Kreuzen an der Wand deutlich macht, in den Hintergrund treten.

Eigentlich wäre „Zur Sache Schätzchen“ ein trauriger Film, traurig, weil man spürt, daß die Münchener Sommer nicht ewig dauern werden, daß das Erwachsenwerden und das Die-Dinge-Ernstnehmen nicht ausbleiben kann. Martin sagt über seine kreativste Phase als daumenkinozeichnender Schüler: „Das war vor ungefähr fünfzehn Jahren. Ich gebe ja zu, ich bin inzwischen nicht viel weiter gekommen. Es wird böse enden.“ 18

„Das Idiom, das hier benutzt wird, besteht aus Wortschöpfungen, wie sie in ähnlicher phonetischer Präzision nur noch im Jiddischen vorkommen. Und diese bewußte Unterwanderung jedes Gesprächs durch ein Tiefstaplervokabular, das in seiner Schnoddrigkeit von den Benutzern dann noch selbst ironisiert wird, läßt einem plötzlich die Normalsprachler wie Fossilien aus dem prähistorischen Museeum vorkommen.“ (Ponkie 68)

Und auch wenn deshalb Werner Enke schon am Ende des zweiten Films von May Spils „Nicht fummeln, Liebling“ reflektiert: „Der alte Schwung ist hin.“ – der Sprachwitz, den das Duo Spils/Enke geradezu zum Sujet gemacht haben blieb nicht ohne Folgen.