Ein Film, sein Umfeld und die Folgen

1… Die Münchner Gruppen

Das Jahr 1962 war ein wichtiges Jahr für die Geschichte des deutschen Films: die 21-jährige May Spils, Sprachsekretärin und Gelegenheitsmannequin kommt nach München, um dort… Verzeihung, eine Verwechslung, folgendes war natürlich das wichtige Ereignis: Auf dem

Produzent Schamoni (halbverdeckt von der Kamera) wußte, was zieht: oftgedrucktes Foto von Regisseurin May Spils beim Dreh im Ungererbad in Schwabing.

Kurzfilmfestival in Oberhausen geben junge Filmemacher eine Erklärung ab, in der sie ihren Glauben an den „Neuen Film“ bekunden. Diese Erklärung wurde später in dem Slogan „Papas Kino ist tot“ zusammengefaßt und das Oberhausener Manifest getauft.

May Spils gehörte nicht zu den Oberhausenern (abgesehen davon, daß in der Gruppe der Manifestunterzeichner keine einzige Frau war), sie hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen Filme zu machen. Trotzdem ist das Ereignis auf vielfache Weise verknüpft mit ihrem ersten Spielfilm „Zur Sache Schätzchen“. 1

Die Regisseure der „Gruppe“, der sie nämlich im weiteren Sinne zuzurechnen ist, hatten im Prinzip das Gleiche im Sinn, wie die Oberhausener auch, ein „jüngeres Kino“ zu machen, gegen die Konventionen der verstaubten „Altbranche“, nur meinten sie damit etwas anderes.

Doch zunächst zum Gruppenbegriff: In der Maiausgabe der Zeitschrift Filmkritik schreibt Enno Patalas über sechs Regisseure, die im März desselben Jahres ihre Filme in gemeinsamen Nachtvorstellungen zeigten. Dies waren Jean-Marie Straub, Peter Nestler, und -für diese Betrachtung interessant- „als Gruppe in der Gruppe“ Eckart Schmidt, Rudolf Thome, Max Zihlmann und Klaus Lemke. Er nennt sie die „Neue Münchner Gruppe“, bezugnehmend auf einen Artikel von Wilfried Berghahn, der gut drei Jahre vorher einige Regisseure als „Münchner Gruppe“ beziehungsweise „Münchner Schule“ definiert hatte. (Darunter größtenteils „Oberhausener“, wie Reitz, Schamoni, Kluge, Vesely.) 2

Bei den Neuen Münchnern gibt es kein Manifest oder eine ähnliche Selbstdefinition, die Grenzen nach außen sind fließend, die Zuordnung eher zeitlicher Art. 3
In der Zeitschrift Film von Juli 67 wird die Münchner Gruppe mit Lemke, Zihlmann, Gosov, Thome, Schmidt, Spils, Müller und Schilling personalisiert. Hier heißt es auch: „Die Münchner präsentieren sich als ein Tier mit mehreren Köpfen, Gedanken und Funktionen werden hin und hergeschoben wie ein Bierglas. Das sieht dann so aus: Klaus Lemke und Dieter Geissler in einem Film von Rudolf Thome, Buch: Max Zihlmann („Galaxis“). Dieter Geissler in einem Film von Klaus Lemke, Buch: Max Zihlmann, Regie Assistenz: Martin Müller („48 Stunden bis Acapulco“). Martin Müller und Klaus Lemke in einem Film von Martin Müller, Buch Marran Gosov („Die Kapitulation“). Und so weiter und so weiter.“

Das war auch schon bei der ersten Münchner Gruppe so: „Sie gehören derselben Generation an, um die dreißig. Sie kennen einander sehr gut. Sie arbeiten oft in wechselnden Teams zusammen, und sie bevorzugen sogar die gleichen Drehorte“ (Berghahn)

Auch letzteres trifft auf „die Jüngeren“ zu, so daß es sich geradezu aufdrängt, einen Bezug zwischen den Gruppen herzustellen. 4

Nur drei Jahre liegen zwischen dem Manifest der Jungen und dem Auftreten der „Jüngeren“, die sich selbst geradezu als Gegenpol zu ersteren sehen.

„Auch sie sind heute um die dreißig, wohnen vorzugsweise in München (…) Dennoch wäre nichts verkehrter, als die „Neue Münchner Gruppe als Fortsetzung der alten anzusehen. was sie von jener unterscheidet, definiert sie geradezu.“ (Patalas)

Und im bereits zitierten Film 7/67: „Es gab schon einmal, ganz ähnlich und ganz anders, eine Münchner Gruppe. Die Differenz zwischen den Filmen damals und den Produkten (…) heute spiegelt die veränderte gesellschaftliche Situation wieder und ein verändertes Reaktions- und Reflexionsvermögen.“ 5

Am Set: Werner Enke, May Spils und Uschi Glas

Griffiger formulierten die Filmer selbst ihren Unterschied von den „Jungen“:

Lemke: „Was unseren Film von den bekannten Jungfilmer-Produktionen unterscheidet? Wir sind einfach 50 Jahre jünger“ (zitiert in: Brandlmeier) 6

Eckart Schmidt: „Mir machen Spaß: attraktive und interessante Gesichter, Kostüme und Schaueffekte vor der Kamera und eine Kamera, die dem Geschehen dient, und es nicht mit Mätzchen vergewaltigt. Ich filme lieber ein nacktes Mädchen als Problemgerede. Das klingt profan. Ich kann es nicht ändern. Ich finde, jeder sollte die Filme machen, die ihm Spaß machen“ (Film 1/68) 7

Und May Spils nach ihrem Erfolg mit „Zur Sache Schätzchen“:

„Ich habe was meine eigene Arbeit angeht auch keine revolutionär-ideologischen Vorstellungen im Sinne des Oberhausener Manifests. Ich möchte nur kein verstaubtes Kino machen.“ (Filmdienst)